Mittelrhein-Museum

Leben in Koblenz

Kultur

Die Zivil- und Personenstandsregister

Die Bedeutung der sogenannten Zivil- und Personenstandsregister, d.h. der von den Standesämtern angelegten und geführten Geburts-, Heirats- und Sterbeeinträge der Bürgerinnen und Bürger, für die wissenschaftliche Forschung, vor allem für die Genealogie, liegt klar auf der Hand. Sie erteilen äußerst zuverlässig Auskunft über eine Vielzahl personenbezogener Informationen und Daten – nicht nur der Beurkundeten selbst, sondern auch von Familienmitgliedern und Zeugen und ermöglichen so die Rekonstruktion von Verwandtschaftsverhältnissen und familiären Beziehungen: Der Geburtseintrag dokumentiert neben dem bzw. den Vornamen und dem Geschlecht des beurkundeten Kindes auch die Namen, den Stand und/oder das Gewerbe, die Religion und den Wohnort der Eltern sowie den Ort, Tag und die Stunde der Geburt, darüber hinaus auch den Namen, Stand und Wohnort des Anzeigenden sowie die Namen der anwesenden Zeugen. Der Heiratseintrag enthält nicht nur detaillierte Angaben zu den Eheschließenden selbst (Namen, Religion, Alter oder Geburtsdatum und -ort, Wohnort, Stand und/oder Gewerbe), sondern auch zu deren Eltern (Namen, Stand und/oder Gewerbe, Wohnort) und zu den Trauzeugen (Namen, Alter, Stand und/oder Gewerbe, Wohnort). Im Sterbeeintrag werden Name(n), Alter oder Geburtsdatum, Religion, Stand und/oder Gewerbe, Wohn- und Geburtsort des Verstorbenen festgehalten, ebenso der Name des Ehepartners bzw. ein Vermerk darüber, ob der Verstorbene ledig oder verwitwet war. Des Weiteren kann dem Sterbeeintrag der Name, der Stand und/oder das Gewerbe und der Wohnort des Anzeigenden sowie der Ort, der Tag und die Stunde des Todes, gegebenenfalls auch die Namen der Eltern des Beurkundeten sowie unter Umständen ein Hinweis auf die Todesursache entnommen werden. Die äußere Form und die Vorgaben darüber, welche Informationen im Detail in den jeweiligen Zivil- bzw. Personenstandseinträgen aufgeführt sein mussten bzw. müssen, haben seit deren Einführung in den linksrheinischen Gebieten im Jahr 1798 und in den rechtsrheinischen Gebieten im Jahr 1874 je nach Zeitgeist und aktueller Gesetzeslage immer wieder Modifikationen erfahren. So wurde z.B. das Religionsbekenntnis in den im Stadtarchiv Koblenz aufbewahrten Zivil- und Personenstandeinträgen von 1814 bis 1875 und vom 11. Juni 1920 bis 30. Juni 1938 nicht beurkundet.[1]

Zusätzliche und über den eigentlichen Eintrag weit hinausführende Informationen können sowohl in rechtlich verbindlichen Randvermerken (Beischreibungen), heute auch Folgebeurkundung genannt, als auch in verwaltungsinternen, zumeist handschriftlichen Hinweisen in den Einträgen enthalten sein. Einem Heiratseintrag wurde und wird beispielsweise im Falle einer späteren Scheidung das Datum des Gerichtsurteils unter Nennung des Aktenzeichens beigeschrieben. Darüber hinaus finden sich in Heiratseinträgen oft Hinweise auf aus der Ehe hervorgegangene Kinder (später sogar auf eigens dafür vorgesehenen Formularen), eine Namensänderung oder auf den Tod des zuerst verstorbenen Ehepartners. In Geburtseinträgen kann das Sterbedatum einer Person als Notiz auf dem Rand festgehalten sein, in Sterbeeinträgen können aus dem Randvermerk wiederum das Heiratsdatum und der Heiratsort des Verstorbenen hervorgehen etc. etc. Diese in den historischen Zivil- und Personenstandsregistern handschriftlich hinzugefügten Vermerke dienten und dienen bis heute der Herstellung von Rechtssicherheit und/oder einer Verbindung zwischen den einzelnen, ursprünglich für sich alleinstehenden Einträgen und somit der Dokumentation von Familienzugehörigkeiten und der Reduzierung aufwendiger und schwieriger Sucharbeit.

Geburtseintrag aus dem Jahr 1855 - Nr. 494 (Simon Gustav Mayer) - mit rechtlich verbindlichem Randvermerk, Standesamt Koblenz (StAK 623,2).
Transkription des Randvermerks:
„Coblenz, den 18. November 1888: Durch Verfügung der Königlichen Regierung zu Coblenz vom 26. November 1886 ist genehmigt worden, dass der hierneben aufgeführte Vater ‚Mayer Mayer‘ und dessen nebengenannter Sohn, ‚Simon Gustav Mayer‘ statt des bisherigen Familiennamens den Namen ‚Mayer-Alberti‘ annehmen und künftig führen dürfen, was auf Antrag des genannten Vaters hier vermerkt wird. Patent und Antrag befinden sich bei den Belegen zu 1855.
Der Standesbeamte Drees“.


Die Zivil- bzw. die Personenstandsregister waren von den Bürgermeistereien bzw. den Standesämtern obligatorisch in zweifacher, identischer Ausführung anzulegen.[2] Während die Erstbücher, auch Hauptregister genannt, dauerhaft in den Standesämtern verblieben, mussten die Zweitbücher, beglaubigte Abschriften der Erstbücher und auch Nebenregister genannt, räumlich getrennt, bei den Gerichten erster Instanz, später gegebenenfalls auch bei anderen staatlichen oder kommunalen Behörden, aufbewahrt werden. Damit wurde gewährleistet, dass im Verlustfall (z.B. durch Feuer oder Wasserschaden) stets eine der Überlieferungen erhalten blieb.[3]








Die Beurkundung eines Geburts- oder Sterbefalls wurde und wird immer vom Standesamt am ‚Ort des Geschehens‘ vorgenommen, d.h. von dem Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich der Betroffene geboren wurde oder gestorben ist. Ausnahmen hiervon bildeten und bilden Geburten oder Sterbefälle im Ausland. Diese können nach § 36 des Personenstandsgesetzes

 „(…) im Geburtenregister oder Sterberegister beurkundet werden (…) Zuständig für die Beurkundung ist das Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich die im Ausland geborene Person ihren Wohnsitz hat oder zuletzt hatte oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; hatte die verstorbene Person ihren letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so beurkundet das für diesen Ort zuständige Standesamt den Sterbefall“.[4]

Diese Regelung fand in der Vergangenheit besonders häufig bei im Ausland gefallenen Soldaten Anwendung.

„Bereits seit dem 16. Jahrhundert war es Aufgabe der Geistlichen beider [christlichen] Konfessionen gewesen, Tauf-, Trau- und Totenbücher zu führen“.[5] Die Erstellung von Nachweisen über Geburten, Heiraten und Sterbefälle, sogenannte Zivil- oder Personenstandsfälle, durch nicht-kirchliche, d.h. zivile kommunale und/oder staatliche Behörden, geht auf das Vorbild aus dem revolutionären Frankreich zurück. Die Pariser Nationalversammlung hatte im „Décret sur la mode de constater l’état civil des citoyens“ vom 20. September 1792 verfügt, dass „(…) alle [Hervorhebung im Original] Einwohner ihren Zivilstand durch besondere bürgerliche Beamte feststellen lassen mussten“[6] – und zwar unabhängig von ihrem Stand oder ihrer Konfession. Darüber hinaus bestimmte das Gesetz die Einführung der Zivilehe mitsamt der Möglichkeit zur Scheidung. Es war also nicht nur „der Idee einer gleichen Staatsbürgerschaft entsprungen“, sondern bedeutete darüber hinaus einen tiefen „lebensweltlichen Einschnitt für die gesamte Bevölkerung“, denn es stellte „einen radikalen Bruch mit den kirchlichen Ordnungsvorstellungen dar“: Es machte die zivilrechtliche Beurkundung einer Eheschließung zur Voraussetzung für deren kirchliche Einsegnung und war „somit Teil der Säkularisation“.[7] Für die Verwaltung bzw. für den Aufbau eines modernen Verwaltungsstaates brachten das Dekret und eine ganze Reihe weiterer Gesetze zur Regelung des Zivilstandes enorme Vorteile mit sich – war doch durch die systematische Erfassung der Bevölkerung fortan der behördliche ‚Zugriff‘ auf jeden einzelnen Bürger um ein Vielfaches erleichtert.

In Deutschland begann die Wirkungsgeschichte des französischen Rechts mit der Integration der seit Oktober 1794 besetzten linksrheinischen Gebiete in das französische Staats- und Rechtssystem. Deren Eingliederung war de facto bereits seit Anfang des Jahres 1798 in vollem Gang, lange vor ihrer völkerrechtlichen Anerkennung und damit der Gleichstellung mit den französischen Kerngebieten im Frieden von Lunéville im Jahr 1801. In den Rheinlanden führte dies zu einer grundlegenden Änderung der Staats-, Verwaltungs- und letztlich auch Gesellschaftsstruktur.[8] Der Startschuss für die staatliche und kommunale Zivilstandsführung sowie die obligatorische Einführung der Zivilehe fiel in den vier neu gegründeten Departements auf der linken Rheinseite[9] am 1. Mai 1798 per Verfügung des Regierungskommissars François Joseph Rudler (* 9.9.1757 Guebwiller, † 13.11.1837 Straßburg),[10] nach der die Beurkundung von Personenstandsfällen fortan den Munizipalitäten (Stadtobrigkeiten), d.h. den ‚Maires‘ (Bürgermeistern) bzw. in deren Vertretung den ‚Adjoints‘ (Beigeordneten) übertragen war.[11] Dementsprechend beginnen die Zivilstandsregister für das linksrheinische Koblenz im September 1798. Die gleiche Verfügung bestimmte auch, in Umsetzung des Gesetzes vom 20. September 1792, die Anlage alphabetischer Verzeichnisse am Ende der jeweiligen Geburten-, Heirats- oder Sterbebücher. Beginnend mit dem 21. September 1802 wurden diese jährlichen Verzeichnisse schließlich darüber hinaus immer für den Zeitraum von jeweils zehn Jahren zusammengefasst und als sogenannte Dezennaltabellen (Zehn-Jahres-Tabellen) geführt.[12] Sie dienten und dienen bis heute der leichteren Auffindbarkeit der einzelnen Personenstandsfälle. Die Trennung des Personenstandswesens von der Kirche fand in den linksrheinischen Departements ihre Bestätigung im Beschluss des Generalkommissars vom 15. September 1801, nach dem es den Pfarrern fortan verboten war, „zu taufen, zu trauen, zu beerdigen, bevor eine Ausfertigung der Zivilstandsurkunde über das betr.[effende] Personenstandsereignis vorgezeigt war“.[13]

Besonderheiten der frühen Zivilstandsregistereinträge, zumindest aus heutiger Perspektive, sind deren Abfassung in französischer Sprache sowie deren Datierung. Während die Einträge bis ca. 1800 noch Formularcharakter mit teils vorgedruckten Rubriken aufweisen, die oftmals in deutscher und französischer Sprache gemischt ausgefüllt wurden, erfolgte die Beurkundung der Personenstandsfälle ab ca. 1802 ausschließlich auf Französisch und in langen, zusammenhängenden Fließtexten. Bei der Datierung wurde bis zum 31. Dezember 1805 der in Frankreich seit Oktober 1793, in den besetzten linksrheinischen Gebieten seit 1795 geltende republikanische Kalender (‚calendrier républicain‘) zugrunde gelegt. Obwohl Napoleon I. zum 1. Januar 1806 den gregorianischen Kalender wieder einführen ließ, fand dieser in den Koblenzer Zivilstandsregistern erst ab Januar 1807 wieder Verwendung. Wahrscheinlich vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Sieges der verbündeten Mächte Österreich, Russland und Preußen über die Franzosen wurden seit Ende Januar 1814 die Beurkundungen wieder in deutscher Sprache vorgenommen.

Auf der rechten Rheinseite sollte es mehr als sieben Jahrzehnte länger dauern, bis das Führen von Zivilstandsregistern durch staatliche Behörden auch dort gesetzlich vorgeschrieben und die endgültige Loslösung des Personenstandswesens von den Kirchen vollzogen wurde. Den Anfang machte das Königreich Preußen mit dem „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März 1874“, nach dessen § 1 „die Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbefälle (…) ausschließlich durch die vom Staate bestellten Standesbeamten mittels Eintragung in die dazu bestimmten Register“ zu erfolgen hatte.[14] Kein Jahr später wurde unter dem annähernd gleich lautenden Titel „Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875“ die Einführung des staatlichen Personenstandswesens und die Einrichtung eigens dafür vorgesehener Standesämter auch für das gesamte Deutsche Reich geregelt.[15]

Der „Quellenwert der Personenstandsregister“ für die historische Forschung „beruht auf ihrer Vollständigkeit und Verlässlichkeit“[16] und kann nicht hoch genug geschätzt werden, zumal die Standesämter und Archive vieler Städte und Gemeinden auf eine lückenlose Überlieferung zugreifen können. Das gilt in besonderem Maße für die Erforschung jüdischer Familiengeschichte(n), denn anders als im Fall der beiden christlichen Konfessionen, deren Angehörige bis ins 16. Jahrhundert zurück in den Tauf-, Heirats- und Sterbebüchern ihrer Kirchengemeinden erfasst wurden und bis in die Gegenwart werden, kennt die jüdische Tradition eine vergleichbar systematische oder gar verpflichtende Dokumentation der Personenstandsfälle nicht. Zwar gibt es auch im Judentum die Anlegung von Ahnenlisten. Diese dienten vor allem bei Gelehrten als Beweis für ihre Herkunft aus einem möglichst auf König David zurückzuführenden Rabbinergeschlecht und wurden nicht durch Quellen belegt. Somit dürfte diese Form der Genealogie wohl eher der Reputation als der möglichst tatsachenbasierten Erforschung der eigenen Abstammung gegolten haben. „Das Geburtsdatum spielte für Juden keine wichtige Rolle“.[17] Für jüdische Knaben findet man es eventuell in Mohelbüchern, den Protokollen der rituellen Beschneider, oder auf der Mappa (Plural Mappot), einem Stoffband, das mit dem Geburtsdatum und Segenssprüchen bestickt ist und beim ersten Synagogenbesuch eines Jungen im Alter von drei Jahren um die Thora, die Heilige Schrift der Juden, gewickelt wird. Anschließend werden die Mappot in der Synagoge aufbewahrt, um sie bei der Bar Mizwa, der religiösen Mündigkeit der Jungen im Alter von 13 Jahren, erneut um die Thora zu legen. Die Beschneider waren jedoch nicht zur Anlage von Mohelbüchern verpflichtet, zogen in der Regel von Ort zu Ort und nahmen ihre Unterlagen, soweit vorhanden, mit. Die Mappot haben sich nicht durchgängig erhalten, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass jüdische Mädchen bei dieser Art der Dokumentation völlig außen vor blieben – die Bat Mizwa für zwölfjährige Mädchen hat sich erst im 20. Jahrhundert etabliert. Als einzige Aufzeichnung zwingend vorgeschrieben war im jüdischen Leben die Ketubba (Plural Ketubbot, wörtlich ‚Geschriebenes‘), der Heiratsvertrag. Er regelte, wie viel Geld der Frau im Fall der Scheidung oder beim Tod des Ehemannes zustand und wurde dementsprechend gewissenhaft aufbewahrt. Kam es tatsächlich zur Trennung der Eheleute, wurde die Ketubba nach Erfüllung der in ihr festgehaltenen Vereinbarungen in der Regel dem Mann ausgehändigt und vernichtet, um weitere (ungerechtfertigte) Forderungen seitens der Frau zu auszuschließen. Dagegen für die Ewigkeit angelegt waren und sind nach jüdischem Verständnis die Friedhöfe. Die teilweise jahrhundertealten Grabsteine stellen bis heute wichtige genealogische Quellen dar, sofern sie noch lesbar sind und nicht als Baumaterial missbraucht oder durch Verwitterung, Krieg, antisemitischen bzw. nationalsozialistischen Terror oder andere Einwirkungen zerstört wurden.[18] Allerdings weisen die auf ihnen enthaltenen Angaben nicht selten Unstimmigkeiten auf – vor allem, wenn der Stein erst einige oder sogar lange Zeit nach dem Tod gesetzt wurde und bei Angehörigen und Bestattern schon Erinnerungslücken aufgetreten waren. Gleiches gilt für die ausschließlich im deutschen Kultur- und Sprachraum zu findenden Memorbücher. Sie gehören zur Gattung der Seelen- oder Totengedächtnisbücher und waren zwischen dem 16. und späten 19. Jahrhundert in vielen jüdischen Gemeinden in Gebrauch. Die Memorbücher der Gemeinden Ehrenbreitstein und Koblenz umfassen die Zeitspanne von Anfang/Mitte des 17. Jahrhunderts bis Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts. Neben einem allgemeinen liturgischen Teil enthalten sie individuelle Gedächtniseinträge für verstorbene Gemeindemitglieder, oftmals mit Kurzbiografien versehen, und stellen somit, trotz etwaiger Ungenauigkeiten, Weglassungen oder Beschönigungen, eine überaus wertvolle Quelle dar. Die beiden Memorbücher aus Ehrenbreitstein und Koblenz werden heute in den „Central Archives for the History of the Jewish People“ in Jerusalem aufbewahrt, ihre Online-Edition kann auf der Homepage des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts eingesehen werden.[19] Neben diesen aus der jüdischen Tradition und den Synagogengemeinden selbst hervorgegangenen Dokumentationsformen gab es in der Zeit vor Einführung des staatlichen Personenstandswesens diverse behördliche Maßnahmen zur Erfassung der jüdischen Einwohner und ihrer Familienverhältnisse: Angefangen bei der Anlage sogenannter ‚Judenverzeichnisse‘ oder ‚Juden- und Dissidentenregister‘ in den einzelnen Gemeinden über die Veröffentlichung von Namenslisten in den Amtsblättern bis hin zur Verpflichtung der Pfarrer oder Bürgermeister zur Miterfassung der jüdischen Personenstandsdaten in ihren Kirchen- oder Amtsbüchern.[20] Allen diesen Maßnahmen gemein war ihre Heterogenität, ihre Lückenhaftigkeit, ihre immense Abhängigkeit von der Gewissenhaftigkeit einzelner Amts- und Würdenträger sowie das Fehlen einheitlicher Standards. Darüber hinaus bestand ihr Hauptzweck nicht etwa im gleichberechtigten behördlichen Umgang mit allen Bürgerinnen und Bürgern, sondern in der Kontrolle, Regulation und gegebenenfalls der Beschneidung der jüdischen Minderheit. Es ist also zu konstatieren, dass mit dem nach napoleonischem Vorbild etablierten Zivil- und Personenstandswesen erstmals in der deutschen Geschichte eine durchgängige und vor allem wertfreie Dokumentation auch der jüdischen Familien einherging. Dafür kommt in der Stadt an Rhein und Mosel eine ganz andere Problematik im Hinblick auf die Nutzung der Zivil- und Personenstandsregister als genealogische Quelle zum Tragen:

Aufgrund der über Jahrzehnte fundamental divergierenden Gesetzgebung auf den beiden Rheinseiten im ausgehenden 18. sowie über weite Strecken im 19. Jahrhundert ergibt sich für Koblenz die außergewöhnliche und für heutige Forschende mitunter komplizierte Konstellation, dass für die linksrheinisch gelegenen Stadtteile die von den staatlichen Behörden angelegten Geburts-, Heirats- und Sterbebücher bereits ab dem Jahr 1798 lückenlos im Stadtarchiv Koblenz vorliegen, während die Personenstandsregister für die auf der rechten Rheinseite gelegenen Stadtteile erst mit dem Jahr 1874 beginnen. Zusätzliche Aufmerksamkeit erfordern die über die Jahrzehnte immer wieder wechselnden territorialen und administrativen Zuständigkeiten sowie die sukzessive Erweiterung des Stadtkreises Koblenz durch die Eingemeindung ehemals eigenständiger Ortschaften.[21] Aus diesem Grund beherbergt das Stadtarchiv Koblenz nicht nur die Überlieferung des Standesamtes Koblenz (Stadt), sondern auch die der ehemaligen Standesämter Ehrenbreitstein (1874 bis 1937)[22] und Koblenz-Land (1821 bis 1937), in deren Zuständigkeitsbereich sich, zumindest zeitweise, einige der erst weit nach 1798 bzw. 1874 der Stadt Koblenz zugefallenen Gemeinden befanden.



[1] Vgl. StAK 623,2. Zu den in den Zivil- und Personenstandsregistern enthaltenen Angaben zu unterschiedlichen Zeiten siehe auch „Décret du 20 septembre 1792 qui détermine le mode de constater l’état civil des citoyens“ unter: https://fr.wikisource.org/wiki/D%C3%A9cret_du_20_septembre_1792_qui_d%C3%A9termine_le_mode_de_constater_l%E2%80%99%C3%A9tat_civil_des_citoyens (abgerufen am 10.4.2022) und Wolfgang Bockhorst, Hinweise zur Führung von Registern und Sammelakten im Standesamt. In: Portal Landschaftsverband Westfalen-Lippe, online abrufbar unter: https://www.lwl.org/waa-download/pdf/Fuehrung_von_Registern_und_Sammelakten_im_Standesamt.pdf, S. 1-8 (abgerufen am 10.4.2022).

[2] Vgl. Meinhard Sponheimer, Die Personenstandsführung im Nassauischen vor 1875. In: Nassauische Annalen 58 (1938), S. 111[künftig zitiert als: Sponheimer, Die Personenstandsführung].

[3] Vgl. Max Bär, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815. (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 35). Zweiter Nachdruck der Ausgabe Bonn 1919, Düsseldorf 1998, S. 374 [künftig zitiert als: Bär, Die Behördenverfassung].

[4] Personenstandsgesetz (PStG) vom 19. Februar 2007 (BGBI. I S. 122), § 36 Abs. 1 und 2. Online abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/pstg/BJNR012210007.html (abgerufen am 18.4.2022).

[5] Fachverband der Standesbeamtinnen und Standesbeamten Westfalen-Lippe e.V., Die Quellen und ihre Inhalte. In: Portal Landschaftsverband Westfalen-Lippe, online abrufbar unter: https://www.lwl.org/waa-download/pdf/Die_Quellen_und_ihre_Inhalte.pdf, S. 2 (abgerufen am 15.4.2022).

[6] Sponheimer, Die Personenstandsführung, S. 111.

[7] Katharina Thielen, „Trau Dich! Frauen als Trauzeugen“, Beitrag im Blog des Stadtarchivs Koblenz vom 23. März 2022 unter: https://stadtarchivkoblenz.wordpress.com/2022/03/23/trau-dich-frauen-als-trauzeugen/ (abgerufen am 8.4.2022).

[8] Vgl. Franz Dorn, Französisches Recht – Rheinisches Recht – Deutsches Recht. In: „200 Jahre Code civil im Rheinland“. Eine Ausstellung der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit dem Landesarchiv Saarbrücken und den Oberlandesgerichten Koblenz und Zweibrücken mit Unterstützung der Justizminister der Länder Rheinland-Pfalz, Saarland und Nordrhein-Westfalen. Hrsg. von Heinz-Günther Borck unter Mitarbeit von Beate Dorfey. (= Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung 104). Koblenz 2004, S. 32.

[9] Département de la Roer (Rur-Departement mit Hauptort Aachen), Département de la Sarre (Saardepartement mit Hauptort Trier), Département Rhin-et-Moselle mit Hauptort Koblenz) sowie Département du Mont-Tonnerre mit Hauptort Mainz). Zum Entscheidungsprozess um deren Einrichtung Ende 1797/Anfang 1798 siehe Joseph Hansen (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der Französischen Revolution 1780-1801. Band I bis IV. (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde XLII). Bonn 1931-1938. Band IV: 1797-1801. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Bonn 1938. Düsseldorf 2004, S. 426-429, S. 438-440, S. 464-467 und S. 594-614 [künftig zitiert als: Hansen, Quellen zur Geschichte des Rheinlandes, Band IV].

[10] Der Elsässer François Joseph Rudler wurde im Frühjahr 1798 mit der Einrichtung der neuen Behördenverfassung im Linksrheinischen beauftragt und dazu zum Regierungskommissar ernannt. Mit Amtssitz in Mainz und allen zuständigen Pariser Ministerien weisungsgebunden, leiteten Rudler und seine sechs Amtsnachfolger die Geschicke des Rheinlandes. Ab 1800 führten sie den Titel ‚Generalregierungskommissar‘. Vgl. Sabine Graumann, 1794 bis 1815 – Aufbruch in die Moderne. Die „Franzosenzeit“. In: Internetportal Rheinische Geschichte, online abrufbar unter: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Epochen/1794-bis-1815---aufbruch-in-die-moderne.-die-%2522franzosenzeit%2522/DE-2086/lido/57ab23d29508f8.06009224 (abgerufen am 8.4.2022).

[11] Vgl. Hansen, Quellen zur Geschichte des Rheinlandes, Band IV, S. 828f.

[12] Vgl. Sponheimer, Die Personenstandsführung, S. 111 und Bär, Die Behördenverfassung, S. 373.

[13] Sponheimer, Die Personenstandsführung, S. 111.

[14] Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1874. Nr. 7. Berlin 1874, S. 95ff. Online abrufbar unter: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/3337703/ft/bsb11177459?page=139 (abgerufen am 15.4.2022).

[15] Reichs-Gesetzblatt. 1875. Nr. 4. Berlin 1875, S. 23ff. Online abrufbar unter: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/3392429/ft/bsb11309200?page=53 (abgerufen am 15.4.2022).

[16] Irmgard Christa Becker, Die Empfehlung der BKK zur Überlieferungsbildung bei Unterlagen der Standesämter. In: Archivpflege in Westfalen-Lippe 71 (2009), S. 30 [künftig zitiert als: Becker, Überlieferungsbildung].

[17] Renate Ell, Jüdische genealogische Quellen. Von der Ketubba zum Trauregister. In: Computergenealogie Nr. 1 (2021), 36. Jahrgang, S. 6 [künftig zitiert als: Ell, Jüdische genealogische Quellen].

[18] Vgl. ebd., S. 6-7.

[19] Zu Geschichte, Aufbau und Inhalt der Memorbücher siehe http://steinheim-institut.de sowie Ulrich Offerhaus, Geschichte der Jüdischen Gemeinde Ehrenbreitstein im Spiegel ihres jüngst erschlossenen Memorbuchs. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 45 (2019), S. 7-11 [künftig zitiert als: Offerhaus, Jüdische Gemeinde Ehrenbreitstein].

[20] Vgl. Ell, Jüdische genealogische Quellen, S. 10.

[21] Für eine detaillierte Darstellung der Eingemeindung neuer Stadtteile siehe Hans Josef Schmidt, Die Eingemeindung neuer Stadtteile. In: Geschichte der Stadt Koblenz. Hrsg. von der Energieversorgung Mittelrhein GmbH. Bd. 2: Von der französischen Stadt bis zur Gegenwart. Stuttgart 1993, S. 225-252 (Anmerkungen S. 577-580).

[22] Von 1874 bis 1888 bestanden sogar zwei Standesämter (Stadt Ehrenbreitstein und Ehrenbreitstein-Land), die von 1889 bis 1937 vereinigt waren.